Happy Birthday, Mr. Tibbs

Sidney Poitier ist 80 Jahre alt geworden. Von Jeannine Kantara

Für das weiße Amerika verkörpert er den gebildeten, nicht bedrohlichen Schwarzen, für seine Landsleute von den Bahamas den amerikanischen Traum. Dass dieser Junge mit dem westindischen Akzent einmal zur Ikone des schwarzen Hollywood und zum Wegbereiter für Stars wie Denzel Washington, Eddie Murphy oder Morgan Freeman werden sollte, damit rechnet niemand, als Sidney Poitier 1927 als siebentes Kind seiner Eltern zur Welt kommt. Die Überlebenschancen des zu früh geborenen, winzigen Babys sind so gering, dass sein Vater bereits kurz nach der Geburt einen Schuhkarton als Sarg für ihn aussucht. Doch Sidneys Mutter konsultiert eine Wahrsagerin, die ihr versichert, dass ihr Sohn nicht nur überleben, sondern zu einem bedeutenden Mann heranwachsen werde. Also fordert sie ihren Mann auf, seine Bedenken und den Schuhkarton wegzuwerfen. Der Vater, Reginald Poitier, ist Farmer. Zu Hause gibt es weder Strom noch andere Dinge des modernen Lebens. Die Poitiers fahren regelmäßig nach Miami, um die Tomatenernte zu verkaufen. Sidney kommt bei einem solchen Ausflug zur Welt und erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft – ein Umstand, der ihm später sehr nützen sollte.

Mit 16 Jahren geht Poitier nach New York und versucht sich als Tellerwäscher und Parkboy über Wasser zu halten, schläft auf Parkbänken und in öffentlichen Toiletten. Bis er ans Theater gerät. Über Monate liest er Bücher und nimmt Schauspielunterricht als Gegenleistung für Hausmeistertätigkeiten im Theater. Dort lernt er den jungen Schauspieler namens Harry Belafonte kennen. Poitier verdankt Belafonte seinen ersten Broadwayauftritt. 1950 erhält er seine erste Filmhauptrolle: In dem Drama No Way Out spielt Poitier einen jungen Arzt, der trotz aller rassistischer Anfeindungen einem weißen Verbrecher, Richard Widmark, das Leben rettet. Das Image des noblen schwarzen Mannes, dessen moralische Integrität unantastbar ist, soll ihm während seiner gesamten Karriere anhaften.

Von schwarzen Intellektuellen wurde Poitier deshalb immer wieder vorgeworfen, in seinen Rollen nicht die Lebenssituation schwarzer Amerikaner widerzuspiegeln. Doch persönlich entwickelt Poitier bereits am Anfang seiner Karriere ein starkes politisches Bewusstsein. Berühmt geworden, unterstützt er die Bürgerrechtsbewegung und wird zum Sprachrohr einer ganzen Generation – eine Aufgabe, die er auch als Last empfindet.

1958 spielte Poitier neben Tony Curtis in dem Drama Flucht in Ketten den Sträfling Noah Cullen, dem gemeinsam mit einem weißen Mithäftling John „Joker“ Jackson (Curtis) während eines Gefangenentransports die Flucht gelingt. Aneinandergekettet müssen die beiden Männer vor ihren Verfolgern fliehen. Während ihrer gemeinsamen Flucht lernen sie sich gegenseitig schätzen und werden schließlich Freunde. Während einer nächtlichen Rast in einem Sumpfgebiet erzählt Joker, wie er als Parkjunge in einem feinen Hotel arbeitete und sich tagtäglich vor weißen reichen Hotelgästen für ein Trinkgeld erniedrigen musste. Nie wieder im Leben wolle er sich für irgendetwas bedanken müssen. Trotzdem basiert seine Lebensphilosophie auf dem Konzept weißer Überlegenheit. Er provoziert Poitier, indem er ihn ständig „Boy“ nennt. Flucht in Ketten macht Poitier endgültig zum Star und bringt ihm seine erste Oscar-Nominierung ein.

Sechs Jahre später erhält er dann die Trophäe für seine Darstellung des Wanderarbeiters Homer Smith in der Komödie Lilien auf dem Felde . Der Kriegsveteran Homer Smith zieht von Ort zu Ort, um Arbeit zu suchen. Wegen einer Autopanne macht er Rast bei einer Gruppe verarmter Nonnen aus Ostdeutschland. Die Mutter Oberin, gespielt von Lilia Skala, kann einen kräftigen jungen Mann gut gebrauchen, um das Dach ihres baufälligen Hauses zu reparieren. Smith willigt ein. Doch die Mutter Oberin hat kein Geld. Stattdessen hofft sie, dass Smith ihr auch noch eine Kapelle baut – umsonst natürlich. Sie kommandiert ihn herum, ruft ihn „Schmidt“. Smith wehrt sich zunächst, doch am Ende baut er nicht nur die Kapelle, er kauft auch Lebensmittel für die hungernden Nonnen ein, gibt ihnen Englischunterricht und verlässt den Ort schließlich als ein besserer Mensch. Dass Poitier den Oscar für eine eher seichte Komödie erhält, hat auch politische Gründe. 1964 hat die Bürgerrechtsbewegung auch Hollywood erreicht. Ein schwarzer Künstler sollte endlich die begehrte Trophäe erhalten. Und Sidney Poitier ist der schwarze Superstar schlechthin und auch der meistbeschäftigte Schauspieler.

„Man nennt mich Mr. Tibbs“. Dieser Satz aus dem Film In der Hitze der Nacht wurde zum Markenzeichen von Sidney Poitier. Gleich dreimal schlüpfte Poitier in die Rolle des New Yorker Polizisten Virgil Tibbs – erstmals 1967. Nach einem Besuch bei seiner Mutter in den Südstaaten auf dem trostlosen Bahnhof des kleinen Ortes Sparta, Tennessee muss Tibbs auf seinen Anschlusszug nach New York warten. Drei Dinge werden ihm dabei zum Verhängnis. Erstens wurde wenige Stunden zuvor ein wohlhabender weißer Geschäftsmann ermordet, zweitens ist Virgil Tibbs ein Fremder und drittens ist er schwarz. Gründe genug für den dortigen Sheriff, gespielt von Rod Steiger, ihn festzunehmen. Im Laufe der Handlung müssen die beiden Männer wohl oder übel zusammen arbeiten, am Ende löst Tibbs mit Akribie und Arroganz den Mordfall. Dabei führt er wiederholt die weißen Dorfpolizisten vor, legt sich mit dem Ku Klux Klan an und ohrfeigt einen rassistischen Plantagenbesitzer – eine Leinwandrevolution im Jahre 1967.

Im gleichen Jahr dreht Poitier unter der Regie von Stanley Kramer die Komödie Rat mal, wer zum Essen kommt . In dieser letzten gemeinsamen Arbeit des Hollywood-Traumpaares Katherine Hepburn/Spencer Tracy (Tracy starb zwei Wochen nach Ende der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt) verkörpert Poitier einen jungen Arzt, der mit seiner weißen Verlobten, dargestellt von Katherine Houghton, zu einem Besuch bei ihren Eltern eingeladen ist. Hepburn und Tracy verkörpern ein reiches, liberales Ehepaar, dessen liberale Werte auf eine harte Probe gestellt werden, denn ihr Töchterchen vergaß zu erwähnen, dass ihr Verlobter schwarz ist.

Seit den 70er Jahren tritt Sidney Poitier immer öfter als Produzent und Regisseur in Erscheinung, unter anderem mit Krimikomödien wie Dreh’n wir noch ‚n Ding (1975) oder Ausgetrickst (1977), die er mit seinem Freund Bill Cosby dreht und die vor allem das schwarze Publikum ansprechen. Nach längerer Abstinenz kehrt Poitier 1987 mit Mörderischer Vorsprung und Little Nikita auf die Leinwand zurück. In beiden Thrillern mimt er FBI-Agenten, ebenso wie 1992 in der Krimikomödie Sneakers – die Lautlosen mit Robert Redford und Ben Kingsley und 1997 in dem Remake des Sechziger-Jahre- Kultfilms Der Schakal mit Bruce Willis und Richard Gere. Befreit von der Last einer Vorbildfunktion setzen diese Rollen eher auf Spannung und Unterhaltung.

In den folgenden Jahren wird Sidney Poitier mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft. 1974 wird er zum Knight Commander of the Order of the British Empire ernannt, benutzt aber das „Sir“ vor seinem Namen nicht. Als Preisträger des Kennedy Center Honors nimmt er 1995 persönliche Glückwünsche von Bill und Hillary Clinton entgegen. 1997 wird er zum Botschafter der Bahamas in Japan berufen und ist außerdem UNESCO-Vertreter der Bahamas. Mit 80 Jahren wirkt der überzeugte Vegetarier erstaunlich fit. Als Vater von sechs Töchtern ist er seit über dreißig Jahren in zweiter Ehe mit der Schauspielerin Joanna Shimkus verheiratet.

2001 wird ihm eine besondere Ehre zuteil – er bekommt den Oscar für sein Lebenswerk. Im gleichen Jahr erhalten Halle Berry für Monster’s Ball und Denzel Washington für Training Day je einen Oscar für die beste Hauptrolle, Will Smith eine Nominierung für Ali . Doch es ist Poitier, der an diesem Abend Standing Ovations bekommt. 37 Jahre nach seinem ersten Oscar geht die Ehrung erstmals an eine schwarze Frau und zum zweiten Mal an einen schwarzen Schauspieler. Das ist auch Poitiers Verdienst. Denzel Washington bedankt sich seiner Rede bei seinem Vorbild mit den Worten: „Ich werde Dir immer auf den Fersen sein, Sidney.“ Einholen wird ihn so schnell niemand.

ZEIT online, 20.02.2007

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