Bargeld ist Alle
Berliner Zeitung vom 14.12.2009
Zwei Jahre lang erhielten die Armen von Otjivero bedingungsloses Grundeinkommen. Was hat es genützt? Eine Bilanz
John A. KantaraOTJIVERO. Endlos zieht sich die gut ausgebaute Landstraße von Windhuk nach Otjivero-Omitara in Richtung Osten. Früher trieben die Herero stolz ihre Viehherden über dieses Land. Das war, bevor die Deutschen mit ihren Zäunen kamen und die Kolonie Deutsch-Südwestafrika in Besitz nahmen. Der Kaiser ist Geschichte, die deutschen Siedler auf den ausgedehnten Farmen sind noch da.
Otjivero ist ein kleiner, bitterarmer Ort, eine Ansammlung von Plastikplanen und windschiefen Wellblechhütten, aber er ist zu weltweiter Berühmtheit gelangt. Vor zwei Jahren begann hier, wovon andere, auch in Deutschland, träumen: Alle Einwohner bekommen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Am 15. jedes Monats werden 100 000 Namibia-Dollar (8 000 Euro) an 930 zu einem Stichtag registrierte Einwohner von Otjivero verteilt. Zwei Jahre lief das Experiment. Am Dienstag geht es zu Ende. Was hat es genützt?
Hildegard und die Deutschen
Der Boden in Otjivero ist sandig. Nur Kakteen gedeihen prächtig. Niemand lebt freiwillig hier. Die meisten Bewohner hatten einmal ihr Auskommen als Landarbeiter auf den umliegenden Farmen. So wie Hildegard Klaasen (53), die 21 Jahre lang auf einem deutschen Bauernhof gearbeitet hat. Die Frau des Landwirts „taufte“ die Namibierin auf den Namen Hildegard. Als sie entlassen wurde und nach Otjivero ziehen musste, blieben ihr nur der Name und einige Deutschkenntnisse. Auf dem deutschen Bauernhof arbeitete sie 50 Stunden pro Woche für Naturalien, freie Unterkunft und manchmal auch ein wenig Lohn. Nach der Einführung von Mindestlöhnen für Farmarbeiter (2009: 49 Euro/Monat) durch die namibische Regierung verloren viele Landarbeiter ihre Arbeit und damit auch ihre Behausungen. Laut Gewerkschaft zahlen viele Farmer den Mindestlohn noch immer nicht.
Fast zehn Jahre lang lebte sie mit ihrem Mann, der Großmutter, vier Kindern und zwei Enkelkindern von der Hand in den Mund. Arbeit gab es in Otjivero keine. Dafür Prostitution, Hunger, Schwindsucht und Aids. Weniger als die Hälfte der Eltern in Otjivero konnte sich das Schulgeld von 50 Namibia-Dollar im Monat (4,33 Euro) für die Dorfschule leisten. Selbst die umgerechnet 35 Eurocent Gebühr für einen Besuch in der kleinen Gesundheitsstation war für die meisten zu viel. 42 Prozent der Kinder waren unterernährt. „Wir hatten nichts“, sagt Hildegard,“kein Maismehl, keinen Zucker – nichts. Hast du nichts zu essen, kannst du nur noch schlafen“, sagt sie. So sieht absolute Armut aus. Heute wartet Hildegard wie alle anderen auf ihre 100 Dollar Grundeinkommen.
Obwohl sie das Geld bekommen, haben auch heute viele Familien in Otjivero nicht genug zu essen, vor allem, weil das Grundeinkommen zum Zuzug von Familienmitgliedern geführt hat. Es reicht für die meisten Familien immer nur zwei Wochen. Trotzdem sind die Erfolge des Programms nicht zu übersehen. Als Hildegard Klaasen im Januar 2008 tatsächlich den ersten 100-Dollar-Schein in ihren Händen hielt, war ihr erster Gedanke: „Ich muss diese Gelegenheit nutzen und etwas daraus machen.“
Für ihre achtköpfige Familie bekommt Hildegard als Hausvorstand etwa 70 Euro im Monat geschenkt – etwa ein durchschnittlicher Monatslohn für einfache Arbeiten. Als der erste Hunger gestillt war, hat Hildegard investiert. Wie viele Eltern bezahlte sie zunächst das Schulgeld. Fast 90 Prozent der Kinder Otjiveros besuchen heute die Grundschule. Schulleiterin Rebecca Heita sagt: „Wenn man ein wenig zu essen hat, kann man dem Unterricht folgen.“ Sie hat beobachtet, dass seit letztem Jahr die Kinder anfangen zu lesen.
Die Schule wird zusätzlich mit Fleisch aus umliegenden Wildgehegen unterstützt. So wollen Viehzüchter der Gegend Wilderei und Viehdiebstahl entgegenwirken. Seit das Experiment läuft, ist Wilderei um 95 Prozent und Viehdiebstahl um knapp die Hälfte zurückgegangen. Unterernährte Kinder gibt es in Otjivero praktisch keine mehr.
Die Menschen haben den Geldsegen genutzt, um kleine Geschäfte aufzuziehen. Es gibt einen Ziegelmacher und eine kleine Bäckerei. Hildegard Klaasen besitzt zwei eigene Nähmaschinen. „Wenn es gut läuft, kann ich als Näherin im Monat fast 80 Euro dazuverdienen,“ sagt sie. Damit kauft sie Essen, der Rest geht aufs Sparbuch. Fast 50 Euro im Monat spart sie. Neben ihrer alten Hütte steht ein neues Haus. Zum ersten Mal haben sie und ihr Mann ein Zimmer für sich.
Der Zufluss von knapp 8 000 Euro pro Monat treibt am Rand der Omaheke-Wüste zarte wirtschaftliche Blüten. Doch die Tatsache, dass das bedingungslose Grundeinkommen neben dem namibischen Kirchenrat und Nichtregierungsorganisationen vor allem von den Gewerkschaften getragen wird, macht die Farmer misstrauisch, denn seit der ersten Entlassungswelle von Farmarbeitern stehen sich die schwarze Landarbeitergewerkschaft und die meist weißen Landwirte feindlich gegenüber.
Seit Generationen leben deutsche Familien wie die von Lüttwitz oder die Köhlers in dieser Gegend. Hardy Köhler betreibt einen Landhandel, der einzige Laden im Umkreis von 120 Kilometern. Köhler verkauft alles, was in der Landwirtschaft so gebraucht wird – Saatgut, Stacheldraht, Dünger. Daneben führt er den größten Schnapsladen der Gegend. Bei ihm kaufen die Leute aus Otjivero den Alkohol en gros. Er sagt: „Wenn ich den nicht verkaufe, macht jemand anderes das Geschäft. Und wer bin ich, diesen Menschen den Alkohol zu verweigern? Die Leute vom Grundeinkommen-Programm sagen doch immer, das sind Erwachsene , die können selbst entscheiden.“
Die Leute vom Programm, das sind vor allem Bischof Zephania Kameeta von der Evangelischen Lutherischen Kirche, und seine deutschen Mitstreiter Claudia und Dirk Haarmann. Auch „Brot für die Welt“ trägt das Projekt mit. In Namibia kennt jeder den Bischof. Er kämpfte gegen das Apartheid-Regime der weißen Südafrikaner, die Namibia nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft verwalteten. Seit der Unabhängigkeit 1990 kämpft Kameeta für die Würde aller zwei Millionen Namibier. Für die Farmer sind der Bischof und sein Grundeinkommen ein rotes Tuch.
„Wir leben hier mit den Leuten“, erregt sich Hardy Köhler. „Wir sind nicht wie die Herrschaften vom Programm, die nur am Zahltag hier sind. Die fahren am selben Tag mit ihrem dicken Mercedes zurück nach Windhuk in ihre dicken Büros. Ich sehe die Kinder, die mit der Suff-Flasche der Mutter in meinen Laden kommen, um mit dem Pfand Brot zu kaufen.“ Von den Menschen, die in dem Hüttendorf leben, hält Hardy Köhler nicht viel. „In dieser halbwilden Siedlung gibt es viele dunkle Elemente“, sagt er. „Die haben sich noch nie um einen Arbeitsplatz gekümmert. Die gehen wildern, oder stehlen den Farmern das Vieh.“ So wie Köhler denken die meisten Viehzüchter hier.
Otjivero ist von allen Seiten von Farmen und deutschen Siedlern umzingelt. Bischof Kameeta sagt über sie: „Die Vergangenheit ist noch viel zu präsent für uns. Fragen Sie die Farmer, ob sie froh sind, dass Namibia unabhängig ist. Sie werden was zu hören bekommen! Und nun kommen wir und richten die Menschen von Otjivero aus dem Staub der Erniedrigung auf. Das berührt die fundamentale Frage, wie wir uns als Namibier sehen. Gibt es Namibier, die etwas Besseres sind, oder sind wir alle gleich?“
Geschenke machen unmündig
Die Farmer glauben, das Grundeinkommen lenke die Menschen in die falsche Richtung, ihnen werde das Bewusstsein genommen, dass man für Lohn etwas leisten muss. „Für die 2,4 Millionen Dollar, die man in den zwei Jahren ausgegeben hat, hätte man hier vielleicht eine Fabrik hinbauen können“, sagt Hardy Köhler. „Da hätte man dann auch die Kontrolle. Wer besoffen zu Arbeit kommt, fliegt. Der Nächste bitte. Warum sagt man denen nicht: ,Ihr seid eben nicht erwachsen genug, um selbst zu entscheiden und mit Geld umzugehen? Wenn Ihr das nicht könnt, entscheiden wir für Euch!‘ Warum will die Kirche das nicht hören?“
Kontrolle bedeutet Macht. Das ist der springende Punkt. Das wissen die Farmer und das weiß auch Bischof Kameeta. Er will das bedingungslose Grundeinkommen in ganz Namibia einführen.
Nun sind die zwei Jahre „Experiment Grundeinkommen“ vorbei. Wenn nicht ein Wunder geschieht, gibt es am 15. Dezember 2009 in Otjivero das letzte Mal Geld. Vielen in Otjivero droht der Rückfall in die absolute Armut. „Was machen die Leute nächstes Jahr?“, fragen Hardy Köhler und die weißen Farmer der Umgebung. „Man hat die Leute abhängig gemacht. Zu Weihnachten gibt es Chaos. Der Viehdiebstahl wird wieder zunehmen. Die Leute werden Hunger haben, sie werden sich das Essen holen.“
Für Hildegard Klaasen ist das Ende des Programms eine Katastrophe. Werden die Menschen sich in ihr Schicksal fügen? Enttäuschung macht wütend. Vor dieser Wut haben die Farmer Angst.
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Schwarz und Weiß – zwei Klassen
Kolonie: 1884 deklarierte das Kaiserreich das Gebiet Namibias als Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Während des Ersten Weltkrieges wurde es von Südafrika besetzt und durch Beschluss des Völkerbundes 1920 der Südafrikanischen Union als Mandatsgebiet zugeteilt. Die Verwaltung dehnte die Apartheid auf das Mandatsgebiet aus.
Freier Staat: 1990 erlangte Namibia seine Unabhängigkeit. Doch die strukturellen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß gerade in der Landwirtschaft, die mehr als der Hälfte aller Namibier Arbeit gibt, bestehen weiter.
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Grafik: Namibia
Foto: Oma Klaasen vor Hildegards Hütte. Früher lebte sie auf einer deutschen Farm in der Umgebung – der Gartenzwerg erinnert sie daran.
Die Meinungen zum Bedingungslosem Grundeinkommen sind und bleiben natürlich sehr unterschiedlich. Aus meiner Sicht gibt es vielen Menschen aber endlich wieder mehr Lebensqualität. Man darf nicht einfach davon ausgehen, dass diejenigen, die es bekommen, sich darauf ausruhen. Sie werden weiterhin ihr Leben führen wie vorher, allerdings mit einer kleinen Sorge weniger.