Wir sind Präsident!

Auch in Deutschland feiern schwarze Menschen Barack Obama als „ihren“ zukünftigen Präsidenten. Was bedeutet die Wahl Obamas für sie? Hier einige Stimmen.

Von Jeannine Kantara

Im Wohnzimmer von Almaz in Berlin-Mitte wird es eng. Die Partygäste rücken zusammen und stimmen bei jedem Neuankömmling den Song: „Yes we can! Yes we did!“ an. Im Hintergrund läuft der Fernseher ohne Ton. CNN wiederholt die Bilder der amerikanischen Präsidentschaftswahlen vom Vortag. Einigen Gästen sieht man an, dass sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugemacht haben, dass sie mitgehofft und gebangt haben mit „ihrem“ Kandidaten Barack Obama.

Schon vor Wochen hat Almaz Verwandte und Freunde zu einer Afro-Obama-Wahlparty eingeladen. „Das müssen wir gemeinsam feiern, auch wenn er nicht gewinnt.“ Aber er hat gewonnen und entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Am 20. Januar 2009 wird Barack Obama als erster schwarzer Präsident ins Weiße Haus einziehen und mit ihm die Hoffnungen und Wünsche vieler schwarzer Menschen auf der ganzen Welt. An diesem Abend bei Almaz lautet das einstimmige Urteil: „Wir sind Präsident!“

Der Musiker und Schauspieler Tyron Ricketts (Soko Leipzig) erlebte den Wahlsieg Obamas am Bildschirm mit. „Für mich war das ein sehr privater Moment. Erst als Obama auf der Bühne in Chicago stand und seine Dankesrede hielt, sank es ein – der Mann hat es wirklich geschafft.“

Filmemacherin Mo Asumang (Roots Germania) war sich bereits vor Verkündung des Wahlergebnisses sicher, „ dass am Morgen ein Geschenk auf mich warten würde. Die Zeit war einfach reif.“ Für Joy Denalane hat der Sieg von Obama auch eine spirituelle Bedeutung. „Nach Jahrhunderten der Sklaverei und Unterdrückung kehrt das Karma zurück.“ Die Sängerin, die das Video zu ihrem Song „Change“ Obama widmet, sieht die historische Bedeutung seiner Präsidentschaft: „Diese geht weit über eine vier- oder achtjährige Amtszeit hinaus und hat Auswirkungen für die gesamte schwarze Diaspora.“

Mit der Wahl von Barack Obama scheint auch das Vertrauen in die Politik zurückzukehren. Musikerin und Autorin Noah Sow, deren Buch „Deutschland Schwarz Weiss“ in diesem Frühjahr erschien, zeigt sich beeindruckt von den Bildern der Wahlnacht: „Da feierte der Arbeiter neben dem Wallstreet-Banker, die weiße Oma neben dem jungen Schwarzen. Es ging nicht um Klasse nach dem Motto „wir gegen die“, sondern um Vernunft. Und tatsächlich um Hoffnung. Das ist der Beweis dafür, dass es sich direkt lohnen kann, wenn man partizipiert. Du gehst zur Wahl und bekommst tatsächlich das, was du wolltest. Das prägt eine ganze Generation.“

Das findet auch Mo Asumang. „Diese Wahl hat einen positiven Effekt auf die heranwachsende Generation, auf die Vorstellung von innerem Wachstum und Gerechtigkeit und das kann nur gut sein für die Gemeinschaft.“ Für NDR-Moderator Yared Dibaba liegt dieser positive Effekt auch in der Persönlichkeit des künftigen US-Präsidenten. „Barack Obama gibt Amerika ein anderes Gesicht. Er ist modern, ernsthaft und er kennt die Aufgaben, die vor ihm liegen. Das macht ihn zum Vorbild und das hat Bedeutung für alle schwarzen Menschen.“

Doch welche Auswirkungen hat diese Wahl für schwarze Menschen in Deutschland? Weshalb feiern bei Almaz in Berlin schwarze Amerikaner, Afrikaner und Afrodeutsche gemeinsam den Sieg eines Politikers, den sie selbst nicht wählen konnten und der nicht Präsident des Landes wird, in dem sie leben?

Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) sieht in Obama’s Sieg „einen historischen Moment, auf den die gesamte afrikanischen Diaspora gewartet hat“. Es sei an der Zeit, „dass die Menschen, die seit Hunderten von Jahren Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung erfahren, die politische Partizipation sehen, die so lange undenkbar war“. Noch erfreulicher sei die Tatsache, dass mit Barack Obama ein Afroamerikaner gewählt wurde, „der aus einem gemischten Elternhaus kommt. Nicht zu vergessen, dass sein Vater Kenianer ist und er eigentlich erst der zweiten Amerikaner-Generation angehört“, meint der Schauspieler und Journalist Theodor Wonja Michael.

In der oft zitierten exotischen Biografie Barack Obamas sehen viele schwarze Deutsche Parallelen zu ihrer eigenen Herkunft. Als Kind einer schwarz-weißen Beziehung in einem weißen Umfeld aufzuwachsen, mitunter ohne den schwarzen Elternteil, gehört zur afrodeutschen Realität.

Verständlich ist daher die Hoffnung, dass die Wahl eines „Weltbürgers“, dessen Wurzeln sich auf drei Kontinente verteilen, auch für schwarze Menschen in Deutschland positive Folgen haben könnte. Yonis Ayeh von der ISD ist überzeugt, „dass auch wir in Deutschland sehr viel mehr erreichen können. Wir haben alle Fähigkeiten und Möglichkeiten, endgültig aus der Randgruppen-Exoten-Ecke auszusteigen und unsere Gesellschaft viel aktiver und direkter mit zu gestalten. Die Türen dazu sind offen! Eine schwarze Bundeskanzlerin, ein schwarzer Bundeskanzler, auch das können wir erreichen.“

Solche Euphorie hält Theodor Wonja Michael für verfrüht. Der 83jährige überlebte die Nazizeit, indem er die Rolle des „Mohren“ in deutschen Kolonialfilmen wie „Münchhausen“ spielte. An einen deutschen Obama glaubt er nicht. „Hier in Deutschland sind wir noch lange nicht so weit. Bei uns herrscht eher ein nachlässiger Rassismus, der auf einer völkischen Orientierung basiert. Ein Deutscher muss wie ein Deutscher aussehen, und in Folge dessen weiß sein. Ich weiß nicht, ob meine Enkel oder Urenkel schon in so eine Position kommen könnten, weil bei uns noch immer die Frage nach der Herkunft gestellt wird.“

Die Skepsis scheint berechtigt. Schon einen Tag nach Obama’s Triumph versucht beispielsweise die Münchener Abendzeitung das „Rätsel der Hautfarbe“ zu entschlüsseln: „Krause, schwarze Haare, negroide Lippen und sein dunkler Teint sind durch seine Abstammung zu erklären…“ Change geschieht in Deutschland eben viel langsamer.

Im Wohnzimmer von Almaz flimmern gerade Bilder aus Kenia über den Bildschirm. Obama’s Großmutter Sarah gibt eine Pressekonferenz. Sie strahlt voller Stolz. Die Menschen singen und tanzen auf den Straßen. Auch in Berlin geht die Party weiter, ein wenig leiser und bescheidener, aber mit neuem Selbstbewusstsein. Denn wir sind Präsident. Und Formel-1-Weltmeister!

1 thought on “Wir sind Präsident!

  1. Hallo John,
    Deinen Artikel über die Wahl von Obama habe ich
    mit großem Interesse gelesen.
    Ich bin mal gespannt, wie Obama sich in Realpolitik
    bewährt, bei den Problemen, die Amerika hat.
    Eine nahezu unlösbare Aufgabe, die nicht nur mit
    Charisma und Yes we can zu lösen ist, was er auch weiß. Letzteres ist positiv.
    Und da unterscheide ich persönlich nicht zwischen Schwarz und Weiß.
    Erstaunlich ist, wie er seine Mannschaft ( Minister ) zusammensetzt, was sehr positiv ist, m. E.

    Es erinnert mich etwas an Kennedy.
    Mit Kennedy hatten wir aber die Kubakrise und den Vietnamkrieg und Kennedy und Martin Luther King haben das nicht überlebt.
    Hoffentlich überlebt es Obama.
    Obama und dessen Frau sind gebildete oberste Klasse, wie Kennedy , was ihn von vielen afrikanischen Führern bzw. Despoten unterscheidet, trotz seiner Wurzeln auch in Kenia.
    Daß das in Amerika möglich geworden ist, spricht
    für Amerika.
    Nun gibt es aber andere Kräfte in Amerika, die nicht
    zu unterschätzen sind.
    Gruß
    Hubert

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