Schwarze Schlipse überall


Deutsche Heeresflieger in der irakischen Wüste

DIE ZEIT vom 9.12.1994

von John A. Kantara

In Bagdad bleibt niemand unbeobachtet. Auch nicht die deutschen Piloten, die im UN-Auftrag den Luftraum über dem Irak überwachen. Unser Autor hat sie besucht.

Sadams Paradestrecke in Bagdad 1994

Er nannte sich Abbas. Aber ob dies sein wirklicher Name war? Abbas war vielleicht 35 Jahre alt, er hatte wasserblaue Augen. Harte Augen. In all den Tagen, in denen er mein Begleiter war, trug er eine dunkelbraune Hose, ein offenes weißes Hemd und darüber eine Lederjacke. Gelegentlich gefiel es ihm, ein paar Scherze zu machen. Meist am Abend, wenn es zurückging ins Hotel. „Ob Sie heute nacht wohl gut schlafen?“ Abbas grinste, als er hinzufügte: „Auch wir haben gute Zimmer.“

Abbas, offiziell ein Stadtführer, in Wahrheit aber ein minder, ein Aufpasser des Geheimdienstes, war ein Mann mit vielen Brüdern. Sie alle trugen schwarze Schlipse, man traf sie überall. In Bagdads „Al-Rashid“-Hotel beispielsweise. Sie standen am Eingang und dahinter, schräg gegenüber der rezeption, am Weg zu den Aufzügen, wo der Liftboy wartete. Auch er trug diesen schwarzen Schlips.

Vier Jahre liegt das Ende des Golfkrieges zurück, doch ihren Frieden haben die Menschen in der Stadt noch nicht gefunden. Daß Regiemgegnern Hände und Füße amputiert werden, meldete die Nachrichtenagentur Reuter im Oktober. Ärzten, die dabei nicht mitmachten, drohe das gleiche Schicksal. Alles scheint Präsident Saddam Hussein zu sehen und zu hören. In den Straßen Bagdads blickt er überlebensgroß auf jene Soldaten herab, die an Kreuzungen mit schwerem Flakgeschütz in den Himmel zielen. Der Eindruck einer permanenten Belagerung wird gepflegt, den Rest besorgt eine umfassende Einschüchterung, die schon an der Landesgrenze beginnt.

Sechs Stunden dauert die Fahrt von der jordanischen Hauptstadt Amman bis zur irakischen Grenze bei Alkaramah. Auf einer Wüstenpiste führt der Weg nach Osten. Links und rechts der Straße Beduinen mit ihren Ziegen. Unter einer glühenden Wintersonne eine karge Landschaft in allen Farben von Gelb. Faszinierend, bis die Betonbehältnisse der irakischen Grenzstation ins Bild kommen. Davor Soldaten, die Kalaschnikow locker in der Hand. „Armani!“ – Deutscher! – ruft mein Fahrer. „Armani?“ fragt der Posten ungläubig? er blickt auf den roten Europaß, auf den goldenen Adler – ein paar Schachteln Zigaretten wechseln den Besitzer, der Soldat ist zufrieden.

Wenige Meter weiter der nächste Checkpoint: „Salaam! Armani!“ Diesmal ist es eine Flasche Cola, die in einer grünen Uniformtasche verschwindet. Der Weg zur „Gesundheitskontrolle“, zum „Aids-Test“, ist frei. Jeder nichtarabische Ausländer muß sich bei der Einreise in den Irak dieser Prozedur unterziehen. In einem fensterlosen, nur mit Tisch und zwei Stühlen möblierten Verschlag warten zwei Männer mit gebrauchten Injektionsnadeln. Sie stechen zu, es sei denn, man schiebt einfach fünfzig Dollar über den Tisch. Das Geld verschwindet in einer Schublade – alles in Ordnung. „Schukran!“ – Danke!

Dicht hinter der Grenze verwandelt sich die Wüstenpiste in eine deutsche Autobahn. Sechsspurig, Leitplanken, Standstreifen. In Richtung Bagdad ist kaum jemand unterwegs, die Rastplätze mit ihren Sonnenschirmen aus Gußbeton wirken verlassen wie nach einer Flucht. Anders die Gegenspur. Hier rollen Tanklastwagen in dichter Folge, die jedem UN-Embargo zum Trotz fleißig irakisches Erdöl außer Landes Bringen. Nach 700 Kilometern Bagdad, die Metropole am Tigris. Genau 483 Cruise Missles der Alliierten schlugen während des Golfkrieges in der Stadt ein. Von den Schäden ist so gut wie nichts mehr zu sehen. Am Ufer des hellbraunen Tigris flicken die Fischer ihre Netze und bauen sich aus Treibholz neue Boote. Auf den Brücken stauen sich die Autos, darunter viele Cadillacs, zu einer endlosen Kette. Niemand, der eine rote Ampel beachtete, jeder sucht seine Lücke. Die Polizisten mit ihren Trillerpfeifen sind bemüht, aber machtlos.

Ein Bild der Ruhe dagegen an den Gedenkstätten, die an die „Mutter aller Schlachten“ erinnern sollen. Kaum ein einheimischer Besucher kommt hierher. Gelegendlich schlendern UN-Inspektoren an den Mahnmalen vorbei, betreten den Boden, in den die zerschossenen Helme gefallener Soldaten aus dem iran-irakischen Krieg eingelassen sind. Sie photographieren das Monument der „Märtyrer“ Saddams, zwei türkisfarbene, fünfzig Meter hohe Ovale auf weißen Marmorsteinen.

Die Bewohner Bagdads zieht es eher auf den „Bar-Al-Schargi“, den traditionsreichen Hehlermarkt der Stadt. Früher wechselte hier wertvolles Diebesgut den Besitzer. Heute ist dieser Ort nur noch ein Flohmarkt von vielen. Zwischen alten Kochtöpfen, Trockenmilch-Babynahrung und mit von Fliegen übersätem Speisefett versuchen Mütter, ihre Habseligkeiten an den Mann zu bringen. Sechzehn Personen zähle ihre Großfamilie, sagt einein einen schwarzen Schleier gehüllte Schiitin, die ein Radio verkaufen möchte. Mit dem Erlös, vierzig US-Dollar, „kann ich meine Familie einen Monat land über Wasser halten“.

Armut überall. Zum Beispiel das Raschad-Hospital. Vor den Mauern des Krankenhauses Müllberge mit streunenden Hunden. Hinter den Mauern rund tausend Patienten der Psychiatrie, ihr Stöhnen dringt durch die Flure. Saad Mehdi, der medizinische Direktor der Anstalt, umschreibt die Lage mit tonloser Stimme: „Für die Schizophrenen fehlen uns die Medikamente. Also greifen wir auf einfache Methoden der Behandlund zurück. Elektroschocks, ohne Anästhesie.“

Abbas, meinen Stadtführer, scheint dieser Ausflug in das Rashad-Hospital nicht weiter zu beeindrucken. Im Gegenteil. Das Sterben in den Krankenhäusern, der Hunger der Kinder seien das Ergebnis der Sanktionen gegen sein Land., sagt er bei der Rückfahrt, während er eine Zigarette rauchte. Kein Wort von Mitleid, kein Wort über die Offerte der UNO, den Verkauf irakischen Erdöls für Medikamente zuzulassen. Darüber ist mit ihm nicht zu reden und auch nicht mit irgend einem anderen. Am Eingang des „Al-Rashid“-Hotels, dort, wo in den Boden ein Mosaik mit dem Kopf des amerikanischen Expräsidenten George Bush („Bush criminal“) eingelassen ist, gibt mir Abbas die Hand. Dann führt er sie an sein Herz. „Bis morgen“, sagt er nur.

Am nächsten Tag Besuch bei der deutschen Bundeswehr in Bagdad, bei Major Erwin Jünnemann und seinen Leuten. Der Major ist schon zum siebten Mal in Bagdad. Seine Mission ist von der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbemerkt geblieben: Pilotendienst für die UNO.

Wie jeden Morgen – auf die irakischen Meteorologen ist kein Verlaß – hat sich der heeresflieger den Wetterbericht für den Flugraum über dem Nordirak aus Traben-Trabach an der Mosel herüberfaxen lasen. Drei schwere Sikorsky-Helikopter stehen startklar auf dem Militärflughafen der Hauptstadt. Sie gehören der deutschen Helikoptereinheit, die schon seit drei Jahren die internationalen UN-Inspektoren zu den Produktionsstätten irakischer Massenvernichtungswaffen fliegt.
An den Maschinen prangen deutsche Hoheitszeichen. Vorne tragen die Helikopter das Zeichen der Vereinten Nationen. Doch ist dies Schutz genug? Die dreißig deutschen Soldaten berichten übereinstimmend von der Angst, die sie bei ihrem Fronteinsatz empfinden. Wiederholt wurden an Straßenkreuzungen die Scheiben der weißen Dienstwagen („es sind gesteuerte Angriffe“) eingeschlagen. Ein deutscher Soldat wurde mit Benzin übergossen, der Täter entkam. Für die Seelsorge nach solchen Erlebnissen ist der Fliegerarzt zuständig. Aber der ist kein Psychologe, er ist Chirurg.
„Al-Raschid“-Hotel, zwölfter Stock. Ein letztes Mal vorbei an der Concierge, an den Männern mit den schwarzen Schlipsen, an den Videokameras in den Fluren und Gängen. Zimmer 1207, ein Raum mit vielen Spiegeln – fünf Tage lang hatte Saddam Hussein Zeit, alles zu hören und alles zu sehen. Und wenn nicht er, dann die Leute vom Zimmerservice, die von ihrem Generalschlüssel regen Gebrauch machen. Duschgel und Nagelpfeile verschwanden schon in der ersten Nacht.

Auf dem Weg hinaus treffe ich Patrick, einen Sudanesen, der hier als Kofferträger tätig ist. Er trägt keinen schwarzen Schlips, sondern weiße Handschuhe und eine weiße Weste. Gerne hätte ich mehr von ihm gewußt. Aber die Gelegenheit hatte sich nicht ergeben. Zum Abschied sagt Patrick nur: „Jambo“, was Kisuaheli ist und „auf Wiedersehen“ heißt. Aber ob er mir dies wirklich wünscht?

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