Expedition Wissen 2006: Stürmisch – Energiegewinnung in Spanien
Link Video-Ausschnitt ZDF-Mediathek
Stürmisch
Energiegewinnung in Spanien
Spanien entwickelt sich so schnell wie kaum ein anderes Land in Europa. In drei Jahren wird es Deutschland in der Wirtschaftskraft pro Kopf überholt haben. Trotzdem ist Spanien extrem abhängig von Energieimporten. Um dies zu ändern, setzen die Spanier nun massiv auf den Einsatz erneuerbarer Energien.
Der Energiebedarf in Spanien ist enorm. Vor allem im Sommer, bei extremer Hitze, benötigen die Spanier viel Energie für den Betrieb von Klimaanlagen.
Die Kraft der Winde
Der Bedarf könnte in weiten Teilen auf umweltverträgliche Art gedeckt werden. Wie nur wenige andere Länder verfügt Spanien über große Quellen erneuerbarer Energie. Moderne Kraftwerke nutzen Solarthermik und Biomasse. Und die Kraft der Winde in der Region La Mancha wird von Windmühlen eingefangen. Die Nutzung dieser Energieformen entspricht an vielen Orten einer Tradition, wie sie zum Teil bereits in Miguel de Cervantes‘ 400 Jahre altem Roman „Don Quijote“ beschrieben ist. Auch uralte Höhlenhäuser haben bis zum heutigen Tag eine hervorragende Energiebilanz.
Vier Jahrhunderte nach „Don Quijote“ begibt sich „Expedition Wissen“ auf die Spuren von Miguel de Cervantes und sucht in den südlichen Provinzen Spaniens nach historischen und modernen Formen der Energiegewinnung.
Link Video-Ausschnitt ZDF-Mediathek
Die Windmühlen des Don Quijote
Windenergie hat in Spanien Tradition
Früher gab es über 400 historische Windmühlen in der Region La Mancha, seit Jahrhunderten die Kornkammer Spaniens. Als die ersten Windmühlen vor 500 Jahren aus Holland nach Spanien importiert wurden, stellten sie für die Bauern eine technologische Revolution dar. Dann aber gerieten sie in Vergessenheit.
Doch mit der 400-Jahr-Feier des „Don Quijote“ 2005 entdeckten die Spanier plötzlich ihre Wahrzeichen wieder. Selbst Dörfer, die nie Mühlen hatten, begannen plötzlich, Mühlen zu „rekonstruieren“. In der Mancha gibt es heute nur noch neun Windmühlen mit einem kompletten Mahlwerk. Alle anderen sind hohl. Attrappen, von denen viele erst in Erwartung des Don-Quijote-Booms für die Touristen gebaut worden sind.
Tonnenschwere Konstruktion
Um die Flügel in den Wind zu richten, muss das gesamte Dach bewegt werden. Gut geschmiert sitzt es auf einer Metallschiene. Mehrere Tonnen wiegt die Dachkonstruktion, an der das komplette Mahlwerk hängt. Nur mit einer gewaltigen Hebelwirkung lassen sich die Flügel schrittweise in die gewünschte Richtung drehen. Heute findet sich kaum noch ein Schreiner, der die Mühlen reparieren kann.
Die Nutzung der Windenergie führte schon vor einem halben Jahrtausend zu einem beispiellosen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Auch Spanien gehört heute auf dem Gebiet der modernen Windenergie neben den USA und Deutschland zu den Weltmarktführern.
Energiespender Sonne
Spanien setzt auf Solarenergie und alte Traditionen
Nicht nur Spaniens Küsten sind mit reichlich Sonne gesegnet. Auch im Landesinneren erreichen die Temperaturen im Sommer oft 40 bis 45 Grad im Schatten. Während Forscher daran interessiert sind, wie man die Kraft der Sonne als Energieträger nutzen kann, gibt es in der Kleinstadt Guadix eine jahrhundertealte Praxis, sich vor den großen Temperaturschwankungen zu schützen – ganz ohne Heizung oder Klimaanlage.
In der Wüste von Tabernas nahe der Stadt Almeria steht Spaniens führende Solarforschungsanlage „Plataforma Solar“. Ein idealer Standort wegen der über 3000 Sonnenstunden im Jahr: Nirgendwo in Europa scheint öfter die Sonne. Wissenschaftler erforschen dort neue Technologien, um Sonnenstrahlen in elektrische Energie umzuwandeln.
Gebündelte Sonnenkraft
Die Spiegel von 300 Heliostaten werden dort der Sonne nachgeführt und konzentrieren das Sonnenlicht auf einen gemeinsamen Brennpunkt an der Spitze des Solarturmes. Temperaturen zwischen 800 und 900 Grad Celsius treiben eine Dampfturbine an und stellen circa zwei Megawatt Leistung zur Verfügung, genug Strom für mehr als 500 Familien.
Scheint die Sonne stark genug, dann stellen die Technologien, die hier entwickelt werden, eine echte Ergänzung zu konventionellen Energieträgern dar.
Strom aus Sonne und Wasser
In Guadix, nicht weit von der Solarforschungsanlage entfernt, ist gerade ein Parabolrinnenkraftwerk mit einer Leistung von 50 Megawatt im Bau -genug Strom für 60.000 Menschen. Auch diese Technologie wurde an der „Plataforma Solar“ entwickelt.
Die Arbeitsweise des Parabolrinnenkraftwerks
Reines Wasser wird durch konzentrierte Sonnenstrahlung auf über 400 Grad Celsius erhitzt, verdampft und auf über 100 Bar verdichtet. Am Ende der langen Röhre muss nur noch eine Dampfturbine angeschlossen werden, um Strom herzustellen.
Experten schätzen: Wären nur wenige Prozent der Sahara mit solchen Kraftwerken bebaut, könnte der gesamte Strombedarf der Menschheit damit gedeckt werden.
Eine zweigeteilte Stadt
Guadix, eine Kleinstadt auf halben Wege zwischen der Küste und Granada, ist noch aus einem weiteren Grund ein interessanter Ort für die Anhänger alternativer Energien. Die Stadt ist zweigeteilt in einen alten und einen neuen Teil.
Die Neustadt bietet jungen Familien moderne Wohnungen mit gut ausgebauter Infrastruktur. Im Sommer kann es in Guadix schnell über 40 Grad heiß werden. Die Klimaanlagen an den Häuserwänden fressen viel Energie, die Stromrechnungen sind dementsprechend hoch.
Perfektes Raumklima
In der Altstadt von Guadix dagegen braucht niemand eine Klimaanlage oder eine Heizung für den kalten Winter. Hier leben 10.000 Menschen in perfekt klimatisierten Höhlen – eine Tradition, die noch von den Mauren stammt.
Seit Jahrhunderten wird die Kunst, Höhlenwohnungen zu bauen, von Generation zu Generation weitergegeben. Besonders wichtig ist die halbmondförmige Deckenkonstruktion. Sie gewährleistet die Stabilität der gesamten Höhle. Oft liegen über der Decke noch mehrere Meter Tonschichten.
Gepflegtes Höhlenleben
Die Höhlen werden dreimal im Jahr mit weißem Kalk gestrichen. Der Kalk reinigt, desinfiziert und erhellt auch die Zimmer. Denn wenn man die Zimmer so tief in den Berg hineinbaut, gelangt wenig Tageslicht hinein. Lampenlicht wird durch die weißen Wände zusätzlich reflektiert.
Gleichbleibende 19 Grad
Die Höhlenbauer greifen nicht auf die Erfahrung von Architekten und Statikern zurück, ihnen reicht ihr traditionelles Wissen. Aber die Höhlenbauer müssen vorsichtig sein: Da die verschiedenen Wohnungen im Berg oft eng beieinander liegen, landet man beim Graben schnell in der Stube des Nachbarn.
Einbauschränke oder Türrahmen der Höhlen werden noch wie vor hundert Jahren mit der Pike aus der Erde gehauen. Nur wer hart arbeitet, kommt in diesen durchschnittlich 150 Quadratmeter großen Höhlen ins Schwitzen. Die Lehm- und Tonerde isoliert so gut, dass im Sommer wie im Winter die Raumtemperatur gleich bleibend bei circa 19 Grad Celsius liegt.